Wie vier Beratungsriesen Konzerne, Staaten und Steuergesetze zugleich beeinflussen
Vier Unternehmen. Fast eine Million Mitarbeiter weltweit. Aktiv in über 180 Ländern. Ein jährlicher Gesamtumsatz von rund 130 Milliarden Euro.
Kaum jemand kennt ihre Namen, doch kaum ein multinationaler Konzern kommt ohne sie aus. Gemeint sind die sogenannten „Big Four“ die vier größten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften der Welt.
Ihre Aufgabe klingt auf den ersten Blick nüchtern und technisch: Sie prüfen die Bilanzen globaler Konzerne, bestätigen deren Ordnungsmäßigkeit und schaffen Vertrauen für Investoren, Banken und Staaten. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein Machtgefüge, das weit über klassische Wirtschaftsprüfung hinausgeht.
Prüfer, Berater, Gesetzesarchitekten alles zugleich
Die Big Four prüfen nicht nur Konzerne. Sie beraten dieselben Unternehmen gleichzeitig, etwa bei Unternehmensstrategien, Fusionen, Restrukturierungen und besonders sensibel: bei der Steueroptimierung.
Dabei geht es nicht um kleine Grauzonen, sondern um hochkomplexe Konstruktionen, mit denen Konzerne ihre Steuerlast systematisch senken. Möglich wird das durch internationale Gesetzesunterschiede, Briefkastenfirmen, Lizenzmodelle und interne Verrechnungspreise – oft legal, aber moralisch hochumstritten.
Brisant wird es an einem anderen Punkt:
Die Big Four beraten nicht nur Unternehmen, sondern auch Regierungen und Ministerien genau jene politischen Akteure, die die Steuergesetze entwerfen, ändern oder reformieren sollen.
Damit sitzen sie auf allen Seiten des Tisches zugleich:
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Sie helfen Konzernen, Steuern zu vermeiden
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Sie prüfen diese Konzerne offiziell
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Und sie beraten die Politik, wie Steuergesetze gestaltet werden
Ein klassischer Interessenkonflikt institutionell verankert.
Herrschaftswissen als Machtinstrument
Durch diese Dreifachrolle verfügen die Big Four über ein einzigartiges Herrschaftswissen: Sie kennen die Bilanzen, die internen Strukturen, die internationalen Steuertricks und zugleich die politischen Prozesse, mit denen Gesetze entstehen.
Dieses Wissen ist nicht öffentlich. Es liegt konzentriert bei wenigen globalen Akteuren und verschafft ihnen erheblichen Einfluss auf wirtschaftliche und politische Entscheidungen.
Die britische Parlamentarierin Margaret Hodge, die mehrere Untersuchungsausschüsse zu Steuerskandalen leitete, bringt es auf den Punkt:
„Hinter dieser massiven Steuervermeidungsindustrie steckt ein System. Wenn man es verstehen will, muss man die Rolle der Beraterfirmen untersuchen – allen voran die Big Four.“
Schätzungen gehen von bis zu einer Billion Euro aus, die den europäischen Staaten jährlich durch aggressive Steuervermeidung entgehen. Geld, das für Bildung, Infrastruktur, Gesundheitswesen und soziale Sicherheit fehlt.
Demokratische Kontrolle kaum vorhanden
Trotz ihrer enormen Bedeutung unterliegen die Big Four kaum demokratischer Kontrolle. Sie agieren global, nutzen regulatorische Unterschiede zwischen Staaten und sind personell eng mit Politik, Finanzverwaltung und internationalen Institutionen verflochten.
Nicht selten wechseln hochrangige Mitarbeiter zwischen Beratungsfirmen, Ministerien und internationalen Organisationen ein klassischer Drehtüreffekt, der Nähe schafft, wo Distanz nötig wäre.
Eine systemische Frage, keine Verschwörung
Wichtig ist: Es geht nicht um geheime Zirkel oder illegale Machenschaften im klassischen Sinne. Es geht um ein System, das legal funktioniert, aber strukturell problematisch ist.
Wenn dieselben Akteure Regeln mitgestalten, sie auslegen, umgehen helfen und anschließend kontrollieren, dann stellt sich zwangsläufig die Frage:
Wem dient dieses System wirklich?
Die offene Debatte fehlt
Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zeigen, wie schwierig es ist, Transparenz in dieses Geflecht zu bringen. Trotz wiederkehrender Skandale von LuxLeaks bis Cum-Ex bleibt die Rolle der großen Beratungsfirmen meist im Hintergrund.
Dabei berührt das Thema einen Kern moderner Demokratien:
Steuergerechtigkeit, Machtverteilung, Verantwortung von Eliten und die Frage, ob wirtschaftliche Effizienz dauerhaft über gesellschaftliche Fairness gestellt werden darf.
Fazit
Die Big Four sind keine unsichtbaren Strippenzieher im klassischen Sinne. Aber sie sind zentrale Architekten eines Systems, das globale Konzerne begünstigt und staatliche Handlungsspielräume einschränkt.
Solange ihre Doppel- und Dreifachrollen politisch akzeptiert bleiben, wird sich an der strukturellen Steuervermeidung wenig ändern. Die eigentliche Frage lautet daher nicht, wie mächtig diese Firmen sind sondern, warum wir diese Macht so selten offen diskutieren.
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