Klinikalltag: Die Zwangsbehandlung in der Psychiatrie
Hier der Text zum Youtubevideo (mit Kommentar)
gemalte Bilder sind von Vera Maria 🙂
Ich versuche hier meine Gedanken und Gefühle wiederzugeben, als ich stationär im geschlossenen Bereich einer Klinik war und ich nach meiner Weigerung Medikamente zu nehmen niedergedrückt, gespritzt und eingesperrt wurde.
Ich wollte die Medikamente nicht mehr nehmen, weil ich den psychotischen Gedanken hatte, ich sei schwanger und schlussgefolgert habe, dass die Medikamente meinen Babys schaden würden, sie gar umbringen könnten.
(Tatsächlich können Neuroleptika einem Embryonen schaden)
„Bin ich schwanger??
Oh Gott, ich glaube, ich bin mit Zwillingen schwanger!!
Oh Gott, ich weiß es!!
Aber die hier in der Klinik wollen, dass ich Medikamente nehme!!
Ich werde ihnen sagen, dass ich keine Medikamente mehr nehmen will.“
„Was, die akzeptiere das nicht??
Gott, die haben keine Ahnung, ich bin schwanger,
Gott, die haben keine Ahnung, ich bin schwanger,
Mutter, zweier wundervoller Kinder, die ich im Bauch trage..
Diese Neuroleptika können meine Schätze töten..
Mein eigen Fleisch und Blut, meine Babys..
Ich werde ganz sicher keine Neuroleptika mehr nehmen!!
Komme was wolle, ich muss zum Frauenarzt und sicher gehen, dass es den Babys gut geht..“
„Aber was?? Die wollen mich zwingen, diese Scheiße zu nehmen??
Ich bin ein freier Mensch, ich darf doch selbst entscheiden, was ich meinem Körper zuführe!!!
Ganz sicher nichts, was meinen Babys schadet..
Die vom Personal sollen mir doch endlich einen Termin beim Frauenarzt ausmachen!“
„Was ,die wollen nicht??
Ich darf doch selbst entscheiden, ob ich zum Arzt will!!!!
Schweine, Mörder, Idioten sind die!!!
Was, ich soll jetzt echt gegen meinen Willen Neuroleptika nehmen???“
„WAAASSS?? Ich lasse einfach meinen Mund zu!! Was, ihr wollt mich zwingen??
Oh Gott, die sind ja zu ACHT!! ACHT MENSCHEN DRÜCKEN MICH NIEDER!!
Oh Gott, die sind ja zu ACHT!! ACHT MENSCHEN DRÜCKEN MICH NIEDER!!
Ich muss kratzten, schlagen, fauchen..“
Doch ich bin nur eine 25 Jahre alte Frau, habe noch nie gekämpft.
Warum auch, ich bin ein friedliebender Mensch…friedlich..
„Doch die drücken mich nieder, schleifen mich in eine Isolierzelle..und was ist das??
Nein, das werden die nicht..nein, das können die nicht..und doch sie tun es..“
Ich spüre wie die Spritze in meine Hüfte gejagt wird..
Danach ein Blackout…
Jetzt bin ich schon wieder alleine in dieser Zelle..
Doch ich lerne dazu..
Habe ich, als ich letzte Woche 4 Tage in dieser Zelle eingesperrt war verzweifelt darum geschrien und gebettelt, freigelassen zu werden, lege ich mich jetzt hin und schlafe. Denn dann holen sie dich wieder raus…
Noch immer bin ich psychotisch..und in der Isolierzelle..
„Ich muss ganz viel Wasser trinken, vielleicht schwemmt das die Inhaltsstoffe – DAS GIFT – der Neuroleptika wieder raus..Ganz ruhig Vera, ganz ruhig..
Aber Gott, ich habe nur eine Flasche Wasser auf unvorhersehbare Zeit, beim letzten Aufenthalt in der Isozelle haben die dir ja auch nur eine Flasche Wasser im Hochsommer pro Tag gegeben…“
Ok, aber egal, ich muss das Gift der Neuroleptika rausschwemmen, ich ex die Flasche Wasser..
„Und jetzt leg dich hin, Vera, und schlafe..“
Ich fange an Selbstgespräche zu führen, bin völlig alleine, alleine in einer Isolierzelle..
Und je lauter ich um Hilfe schreien würde, desto mehr ignorieren die mich. Das habe ich gelernt..
Doch wie soll ich ruhig bleiben??
„Sterben gerade meine Babys????
Lieber Gott hilf mir, diese Schweine töten meine Babys…
Ich wollte doch dieses Dreckszeug von Neuroleptika nicht mehr nehmen..HIIIIIIIIIIIIIILFFFFFFFFFFFEEEEEE!!“
Ich rede mit mir selbst:
„Nein, du darfst nicht schreien, gar um Hilfe bitten – das haben diese Schweine schon immer ignoriert..
Bitte Vera, verliere nicht deinen Verstand, wie du es beim letzten Aufenthalt in der Isolierzelle getan hast..
Bitte, bitte nicht..
Da war ich ja 4 Tage in dieser Zelle..
Wurde ja die Psychose erst zum Problem..
Ich habe echt abgefuckte Sachen gemacht., in dieser Isozelle…
Mit Essen an die Wände geschmiert am Schluss.. Aber nein, das darf nicht passieren, jetzt!!
Versuch ruhig zu bleiben,
Vera, bleib ruhig.. HIIILLLLLLLLLLLFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFEEEEEEEEEEEEEEEEE!!!!!!
Nein, nein, nein ich habe ein Ziel, bleib ruhig Vera..
Ich muss zum Frauenarzt und meine Babys untersuchen lassen!!!!!!!!!
Die Pfleger und Ärzte, diese Schweine verbieten mir dies ja..
Hätten einen Schwangerschaftstest gemacht..negativ..
Tja, die haben den doch manipuliert!!
Klar, die wollen sogar meine Babys noch töten, die würden nie zugeben wollen, dass ihre Medikamente die Babys geschädigt haben..
Jetzt wollen sie die Babys KAPUTTMACHEN!! TÖÖÖÖTTTEEEN!!!!!
DIE SCHWEINE!!!!!“
Mein Kommentar zu diesem Text, dessen Schreiben mir sehr in der Verarbeitung des durch die Zwangsbehandlung entstandenen Traumas geholfen hat:
Ich schaffte es daraufhin wirklich, mich in der Isolierzelle ruhig zu verhalten, denn dies ist meist auch der Grund, warum die Betroffenen wieder herausgelassen werden – wenn sie ruhig gestellt sind – denn Hilferufe werden meist ignoriert…
Dann werde ich endlich aus der Zelle gelassen.
Im Folgenden ließ man mich immer noch nicht zum Frauenarzt, obwohl ich immer noch die Wahnidee hatte, schwanger zu sein.
So spielte ich dem Personal vor, nicht mehr psychotisch zu sein und wurde kurz darauf auf die offene Station verlegt.
In einer waghalsigen Fluchtaktion aus der Klinik, in die nächstgelegene Stadt, 15 km entfernt (ich hatte eigentlich versprochen auf dem Klinikgelände zu bleiben), habe ich es dann doch noch geschafft, eine Frauenärztin aufzusuchen..
Als mein Blick auf den Monitor des Ultraschallgeräts fiel, begann ich zu realisieren, dass ich nicht schwanger war. Meine Psychose war vorüber. Auch der dicke Bauch, verursacht durch die Scheinschwangerschaft, bildete sich innerhalb zweier Tage zurück.
Das war es, wofür ich insgesamt zwei Wochen auf der geschlossenen Station gekämpft hatte – eine Untersuchung beim Frauenarzt. Weil ich eine junge Frau bin, die in ihrer Psychose glaubte, sie sei mit Zwillingen schwanger, und wegen ihrer paranoiden Schizophrenie den Ärzten und Pflegern in der Klinik nicht mehr vertraut hatte, als diese ihr sagten, dass der Schwangerschaftstest negativ war..
Wozu auch einem Personal vertrauen, dass mit Zwangsbehandlung arbeitet und dies mit seinem Gewissen vereinbaren kann?
Heute weiß ich, es ist das System, das streikt..
Das Personal ist ebenso Opfer dieses Systems, wie die Patienten.
Was ich einigen Ärzten und Pflegern dennoch sehr negativ anrechne:
Dass sie an veralteten Theorien festhalten und nicht aufgeschlossen sind für Neues..
Jenes veraltete Psychiatriesystem machte meine Zwangsbehandlung auch erst möglich und oft eine adäquate Hilfe seitens der Pfleger unmöglich, weil der Personalschlüssel einfach zu niedrig ist, um eine richtige Krisenbegleitung zu ermöglichen.
Diese hätte ich aber dringend gebraucht, so war ich damals fest vom psychotischen Gedanken überzeugt schwanger zu sein – ich habe schlußgefolgert, ich dürfe keine Neuroleptika mehr nehmen.
Denn mir hatte einmal ein Arzt erklärt, dass ich mit meinen Medikamenten niemals schwanger werden dürfte, die Babys würden schwer behindert sein.
“Und dann habe ich eben meine Morgenmedikamente verweigert..”
Anstatt mit mir das Gespräch zu suchen und mir dabei zu helfen wieder in die Realität zurückzufinden, hat mich das Personal nach meine Weigerung meine Medikamente einzunehmen, ca. noch 3 Mal gefragt, ob ich wirklich keine Medikamente nehmen wolle und hat dann angekündigt, mir bei erneuter Weigerung die Medikamente zu nehmen, diese unter Zwang zu verabreichen.
Kannst du dir die Hölle vorstellen, die ich erlebt habe, als ich realisiert habe, dass ich gewaltsam gezwungen werde, Neuroleptika zu schlucken?
Ich lebte ja immer noch in dem festem Glauben schwanger zu sein und hatte Angst um meine ungeborenen Kinder.
Ich dachte immer noch es müsse sich bei dem negativen Schwangerschaftstest um einen Fehler handeln oder das Personal hätte ihn gefälscht und war also fest davon überzeugt schwanger zu sein!
(Später war ich dann durch die hier beschriebene Zwangsbehandlung gänzlich dem paranoiden Gedanken verfallen, das Personal wolle meine “Kinder” töten – die Stimmung auf Station und die Gewalt, die ich durch das Personal bei der Zwangsbehandlung erfahren habe, war ein Nährboden für eine ausgeprägte, paranoide Schizophrenie bei mir)
Ich will noch einmal betonen, das meine Diagnose (so viel man von Diagnosen auch halten mag) eigentlich immer jahrelang die der schizoaffektiven Störung war (dies ist eine Sonderform der bipolaren Störung mit einem psychotischen Anteil zu den Manien und Depressionen).
Erst bei diesem Aufenthalt in einer geschlossenen Station dieser Psychiatrie in Baden Württemberg ist meine Psychose in die einer paranoiden Psychose umgekippt und so erlebte ich diesen verängstigenden, paranoiden Film.
Schon nach wenigen Tagen auf der Geschlossenen Station, auf die ich wegen einer bipolaren Psychose gekommen war, war ich höchst paranoid geworden und mein Zustand verschlimmerten sich nach der Zwangsbehandlung noch sehr stark.
“Ich kritisiere heute vor allem, dass nur sehr oberflächlich versucht wurde mit mir das Gespräch zu suchen.”
Auch meine Zwangsbehandlung erscheint mir völlig unangebracht – ich war weder gegen mich selbst oder gegen andere gewalttätig.
Ich hätte mir gewünscht, die Pfleger und die Ärzte wären auf mich und meine Bedürfnisse eingegangen – Mein Problem war in diesem Moment schlicht und einfach, zu glauben mit Zwillingen schwanger zu sein und zeitgleich gezwungen zu werden für ungeborene Babys hochgiftige Neuroleptika schlucken zu müssen.
Ich geriet also in totale Panik, ich bekam hier einfach nicht die einfache Chance dem Personal erklären zu können, dass ich trotz negativem Schwangerschaftstest aufgrund paranoider Gedanken immer noch überzeugt war, schwanger zu sein.
“Ich habe geschrien und gebettelt – doch es brachte nichts.”
Das Personal sah nur die oberflächlichen Fakten: ein negativer Schwangerschaftstest – es erfasste nicht annähernd das Kernproblem: meine paranoide Schizophrenie, die es mir unmöglich machte zu begreifen, dass ich nicht schwanger war.
Ich dachte ich sei schwanger – dies war zwar ein psychotischer Gedanke – für mich war es in diesem Moment aber meine Realität.
Ich hätte dringend ein wenig Verständnis und ein liebevolles Gespräch gebraucht, in dem mir das Pflegepersonal versichert, dass der Schwangerschaftstest wirklich negativ ist und nicht gefälscht ist.
Doch wahrscheinlich hätte dies mich auch nicht von meiner Wahnidee abgebracht.
Wahrscheinlich hätte ich einen Besuch beim Frauenarzt gebraucht, der vom Pflegepersonal begleitet wird.
“Ich hätte so dringend Gespräche und Zuwendung vom Personal gebraucht.”
Doch ganz sicher wollte ich nicht vom Pflegepersonal niedergedrückt werden, in eine Isolierzelle gesperrt werden und eine gewaltvolle Spritze in die Hüfte gejagt bekommen, mit eben den Neuroleptika, von denen ich annahm, dass durch sie die Kinder in meinem Bauch sterben.
Und ganz sicher wollte ich nicht stundenlang in einer Isolierzelle alleine gelassen werden mit dem Gefühl, dass in meinem Bauch gerade meine Kinder “verätzt werden”, wie ich höchst psychotisch dachte..
Es sind eben jene Gespräche, die in deutschen Kliniken fehlen, weil hier leider anstatt vermehrt ins Personal, in Medikamente investiert wird, die meiner Meinung nach nur in Sonderfällen Sinn machen.
Doch in Finnland wird auf den “Offenen Dialog” gesetzt, eine Gesprächsstrategie zur Behandlung von Psychosen mit einer Heilungsquote von 85 %.
In der Region in Finnland, in der schon länger der “Open Dialogue” praktiziert wird, gilt Schizophrenie beinahe als ausgestorben.
Beim “Offenen Dialog” werden Neuroleptika niemals als Mittel erster Wahl und nur in Sonderfällen gegeben.
Auf meiner Homepage gibt es nähere Infos zum “Offenen Dialogue”.
(auf der Mitte der Seite)